Thema: Engagement, Demokratie und Zivilgesellschaft

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Jahresbericht der Diakonie Deutschland erschienen

Gehe hin und tue desgleichen

Jahresbericht der Diakonie Deutschland 2019 / 2020

Jahresbericht lesen: Gehe hin und tue desgleichen

Ein winziges Virus hat genügt, um Deutschland und Europa, ja, den ganzen Globus mit seinen immer komplexeren Strömen aus Waren und Dienstleistungen, Daten und Menschen auszubremsen. Noch sind die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Corona-Pandemie nicht zu übersehen – auch wenn wir bereits ahnen, dass sie wohl ähnlich weitreichende Konsequenzen wie die großen Kriege und der Zusammenbruch der politischen Systeme im vorherigen Jahrhundert haben könnte.

Während wir diese Zeilen schreiben, im Herbst 2020, steigen die Infektionen wieder exponentiell an und werden die Schutzmaßnahmen verschärft. Dies bedeutet auch für die diakonischen Träger und Einrichtungen, für unsere Mitarbeitenden und die Menschen, für die wir da sind, enorme Belastungen. Vom Krankenhaus über den Pflegedienst bis zur Jugendhilfe, von der Behindertenwerkstatt bis zur Bahnhofsmission – kein diakonisches Arbeitsfeld, das nicht berührt und in Mitleidenschaft gezogen wäre.

Die Pandemie stellt nicht nur unsere diakonischen Dienste, sondern die gesamte soziale Infrastruktur vor große Herausforderungen. Wer hätte noch vor einem Jahr gedacht, dass so etwas passieren könnte?

Auch für unseren Bundesverband bedeutete 2020 eine harte Bewährungsprobe – kaum ein Tag vergeht ohne neue schwierige Meldungen und Herausforderungen. Aber das Miteinander der Menschen in der Diakonie hat sich als tragfähig erwiesen. Jetzt wurde deutlich, was wirklich zählt und auf wen man sich im Ernstfall verlassen kann: Solidarität und Barmherzigkeit, innere Motivation und Mission, Menschen, die einander unterstützen und beistehen.

Die Pandemie hat wie unter einem Brennglas den Ist-Zustand unserer Gesellschaft deutlich gemacht und zugleich wie ein Beschleuniger Prozesse und Transformationen angestoßen, in denen andere Länder bereits viel weiter waren als wir. Die mancherorts und in vielen Lebensbereichen bislang zaghaft angegangene Digitalisierung erhielt einen ganz anderen Stellenwert und wird nun mit Tempo vorangetrieben. Auch davon handeln einige Beiträge in diesem Jahresbericht. Da die Corona-Krise die Menschen an ihre Wohnung und ihren Ort band, vervielfachte sich die Zahl der virtuellen Kontakte – mit allem Wohl und Wehe, das damit verbunden ist. Skype, Facetime, Zoom, Coyo & Co. wollen verstanden und benutzt sein – über alle Arbeitsgrenzen hinweg. BlueJeans war plötzlich nicht mehr nur ein Kleidungsstück, sondern eine digitale Plattform. Diese extremen und disruptiven Veränderungen sind nur ein Vorbote dessen, was auf uns zukommt. Es wird kein Zurück in die alten Arbeits- und Lebenswelten geben. Flexibilisierung, Homeoffice, der »clean desk« eines mobilen Arbeitsplatzes: All das ist und wird Realität weit über Verwaltungen hinaus. Ärztliche Betreuung wird digital unterstützt, Robotik gewinnt etwa in der Pflege Raum, Prozesse werden soweit wie möglich digitalisiert.

Die Digitalisierung kennt jedoch nicht nur Gewinner. Die  je nach sozioökonomischer Familiensituation sehr unterschiedlichen Erfahrungen mit dem Homeschooling haben auch das deutlich gezeigt: Die digitale Transformation muss sozial gestaltet werden, wenn eine digitale Spaltung nicht zu weiterer Ausgrenzung und sozialen Verwerfungen führen soll. Da liegen Fluch und Segen nah beieinander.

Die gesamte Volkswirtschaft ist im Umbruch. Starke Branchen des »Exportweltmeisters« müssen sich im Zuge der Dekarbonisierung radikal umstellen – mit bisher ungeahnten Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt. Weite Teile der Kulturbranche sind in der Existenzkrise, viele Selbstständige stehen vor dem Aus. Die Corona-Krise vertieft die soziale Spaltung unserer Gesellschaft. Die Diakonie bleibt gefragt, für die ohne Lobby einzutreten, zu helfen und im Dialog mit Kirche, Wissenschaft, Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Politik neue Antworten zu finden. Beratung für Menschen in Not, ein naher Zugang zu guter Pflege und ärztlicher Versorgung auch und gerade im ländlichen Raum und gerechte Teilhabe für alle, unabhängig von Geschlecht, Hautfarbe, Religion der politischer Überzeugung – dies ist weiterhin Auftrag und tägliche Arbeit der Diakonie. Armut und prekäre Lebensverhältnisse bleiben das größte Gesundheitsrisiko auch in unserem reichen Land. Auch das hat Corona wieder gezeigt. Wie sehr sich unsere Welt als Ganzes und damit der diakonische Kosmos verändert, wird auch an veränderten Wertehaltungen deutlich. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zur »aktiven Sterbehilfe«, zum assistierten Suizid, ist ein Vorbote. Die Debatte um dieses Kernstück christlicher Ethik, schon seit den 1970er-Jahren im Fokus, ist wieder voll entbrannt und wird die Diakonie Deutschland und den politischen Raum auch 2021 in Anspruch nehmen.

Wir stellen uns vonseiten der Diakonie Deutschland all diesen Veränderungen, Transformationen, Disruptionen. Und wir gehören nicht zu denjenigen, die in allen Veränderungen nur die abschüssige Bahn und den »Untergang des Abendlandes« sehen. Christliche Bilder sind immer auch Hoffnungsbilder dessen, der uns immer wieder im biblischen Zeugnis zuruft: "Fürchte Dich nicht!"

Quelle: Jahresbericht Gehe hin und tue desgleichen