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Fachberatungsstelle Nadeschda, Soest

 

Betroffene von Menschenhandel erkennen und stärken

Das Empowerment-Projekt der Fachberatungsstelle (FBS) Nadeschda richtet sich an geflüchtete Frauen, die auf dem Fluchtweg oder in Deutschland Opfer von Menschenhandel (OvM) zum Zweck sexueller Ausbeutung wurden. Die FBS hat vier Arbeitsbereiche entwickelt, die das Erkennen möglicher Betroffener von Menschenhandel, ihre Beratung und ihr Empowerment zum Ziel haben.

Die im Folgenden skizzierten Arbeitsschwerpunkte stehen im engen Zusammenhang und ergänzen sich:

1. Wöchentliche Beratung in einer Erstaufnahmeeinrichtung (EAE) 
in Bielefeld

  • Die geflüchteten Frauen haben innerhalb der EAE die Möglichkeit, ein niederschwelliges Beratungsangebot durch eine Mitarbeiterin der FBS in Anspruch zu nehmen.
  • Durch das Angebot in der EAE können OvM erkannt und – wenn gewünscht – im Sinne des Case Managements (auf Deutsch, Englisch, Polnisch oder Russisch) beraten und unterstützt werden.

2. Schulungen für Mitarbeitende der Geflüchtetenhilfe

  • Die am Asylverfahren beteiligten haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitenden (u.a. der Bezirksregierung, Unterbringungseinrichtungen, Flüchtlingsberatungsstellen, Migrations- und Verfahrensberatungen) werden durch eine zweieinhalbstündige Schulung für die Erkennung von OvM sensibilisiert. 

3. Psychologische Krisenintervention

  • Durch eine erfahrene Psychologin der FBS werden nach Wunsch der Klientinnen psychologische Beratungen durchgeführt (in deutscher, englischer und französischer Sprache), die zur Stabilisierung und zum Aufbau eines Vertrauensverhältnisses beitragen.
  • Zudem werden lange Wartezeiten bei niedergelassenen Psychotherapeut*innen überbrückt.

4. Peer-to-Peer-Konzept

  • Eine Gruppe aus sechs psychisch stabilen (ehemaligen) Klientinnen wurde in sechs Seminareinheiten zu sogenannten Alltagslotsinnen ausgebildet.
  • Diese bieten aktuellen Klientinnen der FBS nach Bedarf eine muttersprachliche Alltagsbegleitung an (mit Aufwandsentschädigung).
  • Dies fördert die Selbstwirksamkeit der Lotsinnen und empowert sowohl sie selbst als auch die zu begleiteten Frauen.

 

Es hat sich bewährt, …
… feste Termine für die Beratung in der EAE anzubieten. Dies sorgt für Kontinuität und eine leichte Erreichbarkeit für die Bewohnerinnen. Das Beratungsangebot ist zu einem festen Bestandteil der Gesamtstruktur der Einrichtung geworden.
… Schulungen zur Sensibilisierung durchzuführen. Die Vermittlung von Klientinnen durch Mitarbeitende der Geflüchtetenhilfe an die FBS haben dadurch deutlich zugenommen.
… die psychologische Krisenintervention in den Räumlichkeiten der FBS anzubieten, da hierdurch der Zugang für die Klientinnen sehr niederschwellig gestaltet ist.
…dass für die Schulungseinheiten genügend Zeit eingeplant wurde, die Schulungsunterlagen für die Peer-to-Peer-Gruppe in einfacher Sprache gestaltet und die Arbeitsmaterialien mit Beispielen entwickelt wurden.

„Wir haben viel Hilfe bekommen, jetzt können wir etwas weitergeben.“
Zitat einer Alltagslotsin im Rahmen der Peer-to-Peer-Schulung

 

Zukünftig sollte…
… bei der Zuweisung von Betroffenen von Menschenhandel in eine Kommune immer beachtet werden, dass von dort aus der Zugang zu einer Fachberatungsstelle in der Nähe besteht. Abbrüche bereits bestehender Beratungsbeziehungen sollten möglichst vermieden werden.
… der Familiennachzug aus dem Herkunftsland beschleunigt und die Antragstellung vereinfacht werden.
... die Finanzierung der Unterstützungsangebote für geflüchtete Frauen, die von Menschenhandel betroffen sind oder waren, nachhaltig gesichert werden.

Alltagslotsinnen des Peer-to-Peer-Projektes
 

Die Projektvorstellung wurde der Broschüre "Geflüchtete Frauen stärken durch Empowermentarbeit" entnommen.


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„Zugänge gestalten, Teilhabe einfordern“ - Verbändeübergreifende Veranstaltungsreihe zum Empowerment geflüchteter Frauen in 2021

Die mehrteilige Online-Veranstaltung 2021 im Rahmen des Projekts „Empowerment geflüchteter Frauen“ stand unter dem Titel „Zugänge gestalten, Teilhabe einfordern“.[1] Empowerment hat zum Ziel, Menschen in ihrer Selbstbestimmung und Teilhabe zu stärken. Aber wie kann Projektarbeit ganz konkret Zugänge gestalten und die Zielgruppe beim Einfordern von Teilhabe unterstützen? Die Mitarbeitenden der Empowerment-Projekte wurden dazu eingeladen, ihre Projektarbeit unter dem Fokus der digitalen, gesundheitlichen und sozialen Teilhabe zu beleuchten und Ideen sowie Anregungen für ihre Arbeit zu entwickeln. Die Veranstaltung wurde ausgerichtet von dem Bundesverband der Arbeiterwohlfahrt, dem Deutschen Caritasverband, der Diakonie Deutschland, dem Deutschen Roten Kreuz und der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland und fand im Rahmen des Projekts „Empowerment geflüchteter Frauen und anderer besonders schutzbedürftiger Personen“ statt, gefördert durch die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration. 

 

1. Teil: „Digitale Teilhabe“

Die Veranstaltungsreihe startete im Juni mit dem Thema „Digitale Teilhabe“. Der digitale Raum ist in den vergangenen Jahren zu einem immer wichtigeren Ort für gesellschaftliche Auseinandersetzung, Teilhabe und für den Zugang zu Informationen geworden. Sicherheit im Umgang mit digitalen Endgeräten, gängiger Software und Online-Plattformen sind oft unerlässlich für Ausbildung, Arbeitsmarktzugang oder auch die Terminbuchung bei Behörden oder Regeldiensten. Gerade in der Pandemie mit der Umwandlung vieler Angebote in Online-Formate hat sich dies gezeigt und verstärkt. Ziel der Veranstaltung war es, auf die damit verbundenen Chancen und Herausforderungen für geflüchtete Frauen einzugehen und Möglichkeiten aufzuzeigen, wie digitale Teilhabe in der Projektarbeit gefördert werden kann.

Dazu wurde das Projekt „Digital Empowerment and information access for refugee women“[2] des FrauenComputerZentrumsBerlin e.V. (FCZB) von der Projektleiterin Elisa Marchese vorgestellt. In dem Projekt werden geflüchtete Frauen durch ein offenes IT- und Medienkompetenz-Training dabei unterstützt, ihre Mobilität im digitalen Raum und ihre Zugänge zu digitalen Medien zu verbessern. Der niedrigschwellige Ansatz des Projekts sowie die Orientierung an den Interessen, Kenntnissen und individuellen Bedürfnissen der geflüchteten Frauen haben sich dabei als wichtige Erfolgsfaktoren für die gelingende Projektarbeit erwiesen. Gleichzeitig ergeben sich aber auch Hindernisse und Herausforderungen, wie beispielsweise die unterschiedliche technische Ausstattung und Internetkapazitäten der Teilnehmerinnen, die digitalen Vorkenntnisse, die beschränkten zeitlichen Verfügbarkeiten, sowie Sprachbarrieren. Zur Überwindung dieser Hindernisse ist eine flexible Anpassung der Lernsettings an die zeitlichen und räumlichen Kapazitäten der Teilnehmerinnen von großer Bedeutung. Auch begleitende Kinderbetreuung und Sprachmittlung in Gemeinschaftsunterkünften haben sich als hilfreich erwiesen, um die Lernsituation der Teilnehmerinnen zu verbessern.

In der anschließenden Diskussion wurde deutlich, dass die Projektmitarbeitenden bei der Umsetzung von digitalen Angeboten in ihren Projekten mit ähnlichen Herausforderungen konfrontiert sind. Besonders die geringe Verfügbarkeit von Hardware und Internetkapazitäten, sowie sprachliche Hürden und fehlende IT-Kompetenzen machen es schwierig, die Frauen mit digitalen Angeboten zu erreichen. Gleichzeitig haben sich einige Angebote, wie z.B. digitale Treffen über Videotools oder Kommunikation über Messenger-Dienste in der Pandemie auch als Chance erwiesen, um die Zielgruppen trotz Kontaktbeschränkungen zu erreichen und Teilhabe zu ermöglichen.

 

2. Teil: „Gesundheitliche Teilhabe“

Der mittlere Teil der Veranstaltungsreihe richtete den Fokus auf Gesundheit als einen zentralen und sehr aktuellen Aspekt von Teilhabe. Ausgehend von einem Input durch Marcus Wächter-Raquet von der Landesvereinigung für Gesundheit und Akademie für Sozialmedizin Niedersachsen e.V. wurde das Konzept der Gesundheitsförderung eingeführt, um im Anschluss zwei Praxisprojekte als beispielhafte Blitzlichter für gute Projektarbeit zur Gesundheitsförderung mit geflüchteten Frauen vorzustellen. Svenja Reimann vom Lore-Agnes-Haus Essen stellte hierfür Ressourcen- und Stabilisierungsgruppen für Frauen, die psychisch belastende Erfahrungen gemacht haben, vor. Anschließend stellte Djamila Amrani von der Beratungsstelle Myriam des Frauenwerks der Nordkirche das Biografieprojekt mit geflüchteten Frauen vor und führte in die Methoden der kultursensiblen Biografiearbeit ein.[3]

Gesundheitliche Teilhabe kann auf verschiedenen Ebenen gefördert oder behindert werden, von individuellen Lebensweisen über soziale Netzwerke und Lebensbedingungen hin zu Umweltfaktoren. Der Zugang geflüchteter Menschen zu gesundheitlicher Teilhabe wird in der Anfangszeit in Deutschland von spezifischen Bedingungen, wie den Lebensbedingungen in zugewiesenen Unterkünften, nach dem AsylbLG eingeschränkten (Gesundheits-)Leistungen oder auch noch kleinen sozialen Netzwerken am neuen Wohnort geprägt. Projektarbeit zur Gesundheitsförderung kann zum einen geflüchtete Menschen bei der Stärkung ihrer Gesundheitsressourcen unterstützen und zum anderen an der Schaffung gesundheitsfördernder Strukturen und Lebensbedingungen mitwirken. Ein wichtiger Aspekt in beiden Ansätzen ist die Partizipation der Betroffenen selbst. Sie kennen ihre Lebensbedingungen am besten, können Veränderungen nachhaltig bewirken und sich selbst dabei als Handelnde und Wirkende erleben.[4]

Methoden zur gesundheitsfördernden Projektarbeit sind u.a. körperbezogene Arbeit, Kreatives oder Biografiearbeit. Vorgestellte Beispiele reichten von Händeyoga, Ressourcenkisten, Body 2 Brain CCM® und Achtsamkeit hin zu Identitätsmolekülen und der „Geschichte meines Namens“. Wichtig ist dabei, Methoden nicht nur zu nutzen, sondern sich – besonders bei Biografiearbeit – mit ihnen auseinanderzusetzen und eine Haltung zu entwickeln, die Grundsätze wie Freiwilligkeit, Wertfreiheit, das Recht zu Schweigen und den Fokus auf die erzählende Person verinnerlicht.[5]

 

3. Teil: „Soziale Teilhabe“

Thema der dritten Veranstaltungsreihe war „Soziale Teilhabe“.  Um Raum für den gemeinsamen (Praxis-)Austausch zu geben, lag der Fokus darauf, die eigenen Projekterfahrungen als Ausgangspunkt zu nehmen und gemeinsam herauszuarbeiten, wo Soziale Teilhabe möglich ist und wie sie nachhaltig gestaltet werden kann. Ein Einführungsvideo zum Thema Sozialraumorientierung und die Ergebnisse einer digitalen Umfrage schafften dafür eine gemeinsame Wissensbasis. Mitbestimmung, Gleichberechtigung, Gemeinschaft, Zugang zu Leistungen und Wissen, Verantwortung, finanzielle Mittel usw. sind zentrale Begriffe, wenn es um Soziale Teilhabe geht. Ziel ist es, geflüchtete Menschen vor Isolierung und Benachteiligung zu schützen und sie bestmöglich durch ressourcenorientierte, sozialpädagogische Angebote im Hinblick auf soziale, politische, kulturelle und berufliche Teilhabe zu unterstützen.

Die Gruppenarbeiten im Welt-Café zeigten, dass die Projektmitarbeitenden mit ihren Maßnahmen ein breites Spektrum abdecken: Von der (digitalen) sprachlichen Förderung, über Freizeitaktivitäten, Informationsveranstaltungen und vielem mehr. Um nachhaltige Wirkungen bei der Zielgruppe erzielen zu können und ihre Partizipationschancen zu steigern, arbeiten sie nicht nur auf individueller Ebene im Sinne von Einzel- oder auch Gruppenberatung, sondern versuchen ihr Klientel sowohl in der Nachbarschaft als auch in allen relevanten Einrichtungen im Sozialraum im Kleinen und der Gesellschaft im Großen anzubinden. Damit diese Arbeit nachhaltig gelingen kann, sind die Projektmitarbeitenden jedoch von zeitlichen, finanziellen und personellen Ressourcen abhängig, sowie von politischen und sozialen Gegebenheiten, die strukturell ein Mehr oder Weniger an Partizipation ermöglicht. Wenn diese Voraussetzungen gegeben sind, ergibt sich ein großes Potenzial an Möglichkeiten der Förderung sozialer Teilhabe, die nur darauf warten, mit Energie und Lust angegangen zu werden.

 

Die Veranstaltungsreihe wurde gefördert durch:

Förderlogo Bundesintegrationsbeauftragte

 

 

 

 

 

[1] Dokumentation der Online-Veranstaltungsreihe in 2020 im Projekt „Empowerment geflüchteter Frauen“: https://www.awo.org/sites/default/files/2021-05/DokumVeranst2020_Empowerment_final_0.pdf

[2] Das Projekt DIGITAL EMPOWERMENT AND INFORMATION ACCESS FOR REFUGEE WOMEN des FrauenComputerZentrumsBerlin e.V. wird gefördert aus Mitteln der Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung, Abteilung Frauen und Gleichstellung. In der Veranstaltung wurde es als Best Practice Beispiel vorgestellt.

[3] Dieses Projekt wurde in Kooperation mit dem Asylzentrum Tübingen e.V., der Mitternachtsmission Fachberatungsstelle für Betroffene von Menschenhandel in Heilbronn sowie mit SOLWODI Fachberatungsstelle in Fulda durchgeführt und durch die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration gefördert.

[4] Dieser Absatz basiert auf einer Mitschrift des Inputs von Marcus Wächter-Raquet von der Landesvereinigung für Gesundheit und Akademie für Sozialmedizin Niedersachsen e.V., sowie der Publikation „Gesundheitsförderung bei Geflüchteten. Lücken schließen – Angebote erkennen“ des Kooperationsverbundes Gesundheitliche Chancengleichheit (Download PDF: https://www.gesundheitbb.de/fileadmin/user_upload/21-02_Handreichung_Gesundheitsfoerderung_mit_Geflu__chteten.pdf )

[5] Dieser Absatz basiert auf einer Mitschrift aus den Kurzinputs von Djamila Amrani (Myriam, Frauenwerk Nordkirche) und Svenja Reimann (Lore-Agnes-Haus).


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