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Familie aus Kindersicht

Familie aus Kindersicht

Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist eine besondere Herausforderung in der Familienpolitik. Allerdings wird die Frage, wie Mütter und Väter Familie und Beruf besser vereinbaren könnten, um mehr Zeit für die Familie zu haben, nahezu ausschließlich unter gender- oder beschäftigungspolitischen Aspekten geführt. Doch wie sieht es mit den Kindern aus? Um dieser Frage nachzugehen, hat die Diakonie Deutschland zusammen mit der Arbeitsgemeinschaft für alleinerziehende Mütter und Väter in der Diakonie Deutschland im Juni eine Fachtagung zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf aus Kindersicht durchgeführt. An diesem Tag haben wir konsequent die Perspektive der Kinder in den Mittelpunkt gestellt. In vier Vorträgen und regen Diskussionen wurden Aspekte einer kindgerechten Familienpolitik aus Kindersicht beleuchtet:

Wohlergehen von Kindern als Zielgröße politischen Handelns

Das Prognos-Dossier "Wohlergehen von Familien", das Andreas Heimer, Direktor der Prognos AG vorgestellte, beschreibt Dimensionen und ihre Wechselwirkungen, die für das Wohlergehen der Kinder und ihrer Eltern relevant sind. Dazu zählen Einkommen und Vermögen, das Wohnen bzw. Wohnumfeld, die Erwerbstätigkeit, Bildung und Betreuung, Gesundheit, Beziehungen und Netzwerke sowie die subjektive Lebenszufriedenheit. Herr Heimer zeigte auf, dass das Konzept „familiäres Wohlergehen“ – unter Einbezug von bestehenden Sozialstatistiken – als Basis dienen kann, um die Auswirkungen von Leistungen der Familienpolitik zu beurteilen. So zeigen beispielsweise Studien, dass Kinder in armutsgefährdeten Familien ein signifikant geringeres Wohlergehen aufweisen als Kinder aus Familien ohne Armutsrisiko. Die negativen Effekte können allerdings durch die Inanspruchnahme von Kinderbetreuung verringert oder vermieden werden.

Was Kindern wichtig ist – Familie aus der Perspektive der Kinder

Ergebnisse des AID:A Teilprojektes „Kinder“, stellte der Dr. Christian Alt, Leiter Kompetenzteam Kinder des Deutschen Jugendinstituts vor. Sie haben unter anderem das erfreuliche Ergebnis, dass die überwiegende Mehrheit der Kinder mit ihrer familiären Situation zufrieden ist. Dabei muss allerdings „Familie“ im Alltag immer wieder neu konstruiert werden. Umso wichtiger ist es für Kinder, dass sie mitbestimmen und mitentscheiden können. Kinder schätzen Routine und Verlässlichkeit auf der einen Seite und brauchen selbstorganisierte freie Zeit auf der anderen Seite. Das muss immer wieder beachtet werden, insbesondere vor dem Hintergrund, dass ein Großteil der Kinder seine Zeit – auch die Freizeit – in Institutionen wie der Kindertagesstätte und der Schule verbringt.

Wohlergehen aus Sicht von Kindern

Nach Befunden der World Vision Kinderstudien und der Studie "Children's Understandings of Well-Being" klagen mehrheitlich Kinder, deren Eltern entweder beide in Vollzeit tätig sind, die bei einem alleinerziehenden Elternteil leben oder deren Eltern arbeitslos sind, dass ihre Eltern zu wenig Zeit für sie haben. Prof. Dr. Susann Fegter vom Institut für

Erziehungswissenschaft der Technischen Universität Berlin berichtete, dass diese Kinder umso mehr sind darauf angewiesen sind, dass es Kindertageseinrichtungen, Schulen, Vereine und Initiativen gibt, wo sie auf Erwachsene stoßen oder ein Umfeld erleben, in dem sie sich jemanden anvertrauen können. Diese Einrichtungen gilt es zu stärken.

Arbeitszeitmodelle aus Kindersicht

Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist in den Mittelpunkt der Familienpolitik gerückt. So gibt es eine Reihe von Arbeitszeitmodellen wie das von der Bundesfamilienministerin vorgeschlagene Modell der Familienarbeitszeit oder die Wahlarbeitszeit des Deutschen Juristinnenbundes. Prof. Dr. Eva Kocher von der Juristischen Fakultät der Europa-Universität Viadrina, Frankfurt (Oder) stellte die juristische Sicht der Arbeitszeitmodelle und ihre Konsequenzen für Kinder vor. Sie erläuterte auch bereits bestehende gesetzliche Regelungen Beispielsweise das Teilzeitbefristungsgesetz bietet einen Anknüpfungspunkt, um Eltern mehr Möglichkeiten zu verschaffen, ihre Arbeitszeit den familiären Erfordernissen anzupassen. Darunter auch das sogenannte Rückkehrrecht, um zwischen Teilzeit- und Vollzeittätigkeit zu wechseln.

Als Fazit lässt sich sagen, dass es eine erkenntnisreiche Tagung war. Die Fülle der Argumente und Einsichten verdient es, in Ruhe bedacht und geordnet zu werden. An dieser Stelle möchte ich ein Schlaglicht auf einige Punkte werfen, die aus meiner Sicht in die familien- und kinderpolitischen Positionierungen der Diakonie gehören:

  • Kinder zu Wort kommen lassen. Es ist deutlich geworden: Wenn wir die Perspektive von Kindern auf die Familiensituation einnehmen wollen, dann nicht über die Köpfe der Kinder hinweg. Kinder können ihre Bedürfnisse benennen und ihre Meinung sagen. Sie haben ihre eigene Perspektive, die nicht mit der Perspektive der Eltern übereinstimmen muss. Kinderpolitik und Familienpolitik müssen stärker verzahnt werden. Sowohl wir als auch die Politik muss wahrnehmen, dass es Familien gibt, in denen das Recht des Kindes auf Beteiligung und Respekt und auch auf körperliche und seelische Unversehrtheit nicht realisiert werden kann. Umso wichtiger ist es, dass Kinder in ihren Kindertagesstätten, Schulen, Vereinen und Initiativen auf Erwachsene treffen, denen sie sich anvertrauen können. Diese Einrichtungen und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gilt es zu stärken.
  • Das Wohlbefinden des Kindes ist eingebettet in das familiäre Wohlergehen. In den Elternhäusern wird der Grundstein dafür gelegt, ob und wie Kinder sich entwickeln können. Eltern sind in den Augen der Kinder wichtige Vermittler von Wissen, Werten und Kompetenzen, sie sind durch ihr eigenes Verhalten Vorbild und bieten Orientierung. Eltern brauchen dafür gezielte Unterstützung – die einen mehr, die anderen weniger. Die Konzepte des familiären Wohlergehens und des kindlichen Wohlbefindens haben die Wechselwirkungen zwischen dem Wohlergehen der Kinder und dem ihrer Eltern deutlich gemacht. Natürlich hat dieses Wohlergehen auch eine materielle Seite: Kinder, deren Wohlbefinden eingeschränkt ist, leben signifikant häufiger in einer sozialökonomisch prekären Lage. Kinderarmut und Familienarmut gehören dringend auf die politische Agenda. Genauso wie bezahlbarer Wohnraum und eine familienfreundliche Stadtentwicklung.
  • Familiengerechte Infrastruktur ausbauen. Dass wir als Diakonie Deutschland es immer noch und immer wieder einfordern müssen, ist an sich schon ein Skandal: Wir brauchen mehr Bildungsgerechtigkeit. Dazu bedarf es des Ausbaus einer bedarfsgerechten, verlässlichen Betreuungs- und Bildungsinfrastruktur. Familien brauchen Beratung und Begleitung und ein familienfreundliches Gemeinwesen. Die Frage, ob ein Kind seine Fähigkeit entwickeln kann, darf nicht die Frage des Geldbeutels der Eltern sein.
  • Zeitsouveränität von Familien erhöhen. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist in den Mittelpunkt der Familienpolitik gerückt, aber ist sie ein Lösungsmodell? Nicht alle Familien profitieren gleichermaßen von den politischen und unternehmerischen Maßnahmen zur Vereinbarkeit. Familien mit geringem Einkommen oder mit geringerer Qualifikation haben es deutlich schwerer, Beruf und Familie in Einklang zu bringen. Damit auch in diesen Familien mehr Zeit füreinander bleibt, wäre ein wichtiges Element einer weitergehenden flexibleren Gestaltung der Arbeitszeit die Möglichkeit, zwischen Teil- und Vollzeitarbeit wechseln zu können.

Aus Sicht der Diakonie Deutschland darf es nicht nur um familienfreundliche Arbeitszeiten für Eltern gehen. Um den Belangen von Kindern gerecht zu werden, brauchen Familien eine armutsfeste sozial- und familienpolitische Unterstützung sowie arbeits- und sozialversicherungsrechtliche Rahmenbedingungen, die nicht nur die Einbußen bei der Reduzierung von Arbeitszeit zugunsten von Erziehungs- und Pflegeaufgaben ausgleichen, sondern die über die sogenannte Familienarbeitszeit hinausgehen.

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