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Grundlagen des Flüchtlingsrechts und aktuelle Rechtsentwicklungen

In den Jahren 2015 und 2016 wurde in hoher Geschwindigkeit eine Reihe von Gesetzen zum Flüchtlingsrecht durch das Gesetzgebungsverfahren gebracht. Hier möchten wir Ihnen einen Überblick über die Grundlagen des Flüchtlingsrechts und die Rechtsänderungen der Jahre 2015 und 2016 geben.

Nachdem im Jahr 2015 sehr viele Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sind, sind es in diesem Jahr nur noch verhältnismäßig wenige. Nach der Ausnahmesituation des vergangenen Jahres erleben wir nun, dass die Aufnahme von Flüchtlingen langsam wieder in geordnetere Bahnen kommt. Viele Flüchtlinge und ihre Familien müssen aber immer noch auf den Abschluss ihres Asylverfahrens und ein normales Leben jenseits von Sammelunterkünften warten. Die Herausforderungen haben sich verändert. Jetzt ist daran zu arbeiten, dass sich die Geflüchteten, die nach Deutschland gekommen sind und Rechtsanspruch auf Schutz nach deutschem und europäischem Recht und der Genfer Flüchtlingskonvention haben, eine soziale und wirtschaftliche Existenz in Deutschland aufbauen können.

Integration ist das Schlüsselwort in der öffentlichen Debatte. Wir sprechen lieber von Teilhabe an allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens, an Bildung, Arbeit, Gesundheitsversorgung.

I.      Grundlagen des Flüchtlingsrechts

1.   Das Recht auf Schutz, ein faires Asylverfahren und effektiven Rechtsschutz

Viele Flüchtlinge, die nach Deutschland gekommen sind, werden in Deutschlandbleiben. Praktisch gesprochen deswegen, weil ihnen wegen Krieg und Verfolgungin ihrem Herkunftsstaat keine andere Wahl bleibt. Rechtlich gesprochen können deswegen in Deutschland bleiben und haben Rechtsanspruch auf Schutz, weil sie als Asylberechtigte, Flüchtlinge oder subsidiär Schutzberechtigte anerkannt sind bzw. ein menschenrechtliches Abschiebeverbot besteht, zum Beispiel weil ihnen bei Ausreise in den Herkunftsstaat Folter oder eine existentielle Gefahr aufgrund einer dort nicht behandelbaren Krankheit droht. Der Rechtsanspruch auf Schutz ist gekoppelt mit einem Recht auf ein faires Asylverfahren und effektiven gerichtlichen Rechtsschutz.

Die beiden Hauptformen des sog. internationalen Schutzes sind die Anerkennung als Flüchtling odersubsidiär Schutzberechtigter. Das Recht auf Schutz erhalten nach Anerkennung auch Ehe- und Lebenspartner sowie minderjährige Kinder.

Die Anerkennung als Asylberechtigte/r basiert auf dem Asylgrundrecht des Grundgesetzes (GG), auf dessen Schutz sich seit der Grundgesetzänderung 1993 nicht mehr berufen kann, wer aus einem EU-Staat oder einem sicheren Drittstaat einreist. Praktisch sehr viel häufiger erfolgt deshalb die Anerkennung als Flüchtling, die auf dem Flüchtlingsbegriff der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) beruht. Danach ist Flüchtling, wer begründete Furcht vor zielgerichteter Verfolgung aufgrund seiner „Rasse“ (Begriff der GFK), Nationalität, Religion, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe hat und dessen Herkunftsland ihm keinen Schutz bietet. Der subsidiäre Schutz ist ein ergänzender Schutz, der gewährt wird, wenn eine Person zwar nicht oder nicht nachweisbar die genannten Kriterien für die Ankerkennung als Flüchtling erfüllt, aber nicht in sein/ihr Herkunftsland
zurückkehren kann, weil dort ein europarechtlich näher definierter ernsthafter Schaden, etwa die individuelle Bedrohung im Rahmen eines Bürgerkriegs droht. Im Hinblick auf den Schutz und die Sicherheit, die die Anerkennung als Flüchtling einerseits und als subsidiär Schutzberechtigte/r andererseits bieten, gibt es bisher in Deutschland keine sehr großen Unterschiede (siehe aber die jüngsten Einschränkungen beim Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten, unten II.4). Die Ankerkennung
als Flüchtling bietet aber einen stärkeren Schutz.

2.   Rechte von Asylbewerbern und anerkannten Flüchtlingen

Die GFK enthält auch Regelungen über die Rechte, die anerkannte Flüchtlinge haben, etwa im Hinblick auf den Zugang zu Arbeit und Bildung. Weitaus ausführlicher und detaillierter sind sowohl das Asylverfahren, als auch die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber sowie die Voraussetzungen und der Inhalt des Schutzes in verbindlichen EU-Richtlinien geregelt. Darin ist auch geregelt, dass die spezielle Situation von besonders schutzbedürftigen Personen wie Minderjährigen, unbegleiteten Minderjährigen, Behinderten, älteren Menschen, Schwangeren, Alleinerziehenden mit minderjährigen Kindern, Opfern von Menschenhandel, Personen mit psychischen Störungen und Personen, die Folter, Vergewaltigung oder sonstige Formen psychischer, physischer oder sexueller Gewalt erlitten haben, besonders zu berücksichtigen ist.

Die Familieneinheit wird durch unser Grundgesetz, das Europarecht und verschiedene Menschenrechtsabkommen geschützt. EU-Richtlinien und das deutsche Aufenthalts- und Asylrecht enthalten dazu konkrete Vorschriften.

3.   Ausschluss des Flüchtlingsschutzes, Abgelehnte Schutzsuchende, Ausweisung und Abschiebung(sverbote)

Die Anerkennung als Flüchtling oder subsidiär Schutzberechtigte/r ist ausgeschlossen, wenn die Person vor Antragstellung zum Beispiel Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder sehr schwere, grausame Straftaten begangen hat. Die Anerkennung ist auch ausgeschlossen, wenn – in extremen Ausnahmefällen – von der Person für die Zukunft eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit des Landes ausgeht. Ansonsten müssen sich natürlich Asylsuchende und Flüchtlinge wie Deutsche und andere Ausländer auch nach dem Strafrecht verantworten, wenn sie eine Straftat begangen haben. Ausweisung und Abschiebung unterliegen bei Asylsuchenden und anerkannten Schutzberechtigten engen völkerrechtlichen Grenzen („Refoulement-Verbot“) und bleiben immer das letzte Mittel für extreme Ausnahmefälle. Nach umfassender Abwägung  muss im Einzelfall entschieden werden, ob das
staatliche Interesse an der Ausweisung/Abschiebung z. B. wegen der Gefährlichkeit des Täters größer ist als das berechtigten Bleibeinteresse des/der Betroffenen. Ohne Ausnahme sind Abschiebungen nach dem GG und der EMRK dann verboten, wenn die betroffene Person  durch die Abschiebung z. B. schwersten Gesundheitsgefährdungen oder der Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung ausgesetzt würde (absolutes Abschiebungsverbot).

Abgelehnte Schutzsuchende, die nicht die Voraussetzungen für die Anerkennung als international Schutzberechtigte erfüllen,  sind in der Regel ausreisepflichtig. Wenn keine freiwillige Ausreise erfolgt, kann es zur zwangsweisen Abschiebung kommen. Diese scheitert in der Praxis häufig daran, dass der Herkunftsstaat nicht bereit ist, diese Personen wieder aufzunehmen. Dies gilt zum Beispiel nach wie vor für die Maghreb-Staaten. Die Betroffenen müssen häufig über lange Jahre als Geduldete in Deutschland leben. Das deutsche Abschieberecht wurde im Jahr 2015 dreimal verschärft.

II.     Aktuelle Rechtsentwicklungen

1.   Überblick

Die Jahre 2015 und 2016 waren von einer Welle von Gesetzen zur Änderung des Aufenthalts- und Asylrechts geprägt, die hier nicht in allen Einzelheiten dargestellt werden kann.
Insbesondere zu nennen sind eine neue Bleiberechtsregelung, die Asylpakete I und II, Gesetze zur Änderung des Ausweisungs- und Abschieberechts (u. a. das sog. Köln-Gesetz) und das Integrationsgesetz. Die Diakonie Deutschland hat differenziert Stellung bezogen und viele Punkte deutlich kritisiert (zu finden auf der Homepage der Diakonie Deutschland).

Einige wenige, aber unzureichende Verbesserungen gab es im Hinblick auf den Zugang zu Sprachkursen, zu Arbeit und Arbeitsförderung für Asylsuchende und Geduldete. Insbesondere der Zugang zum Arbeitsmarkt ist für Flüchtlinge immer noch stark beschränkt. Und auch wer Arbeit hat, bekommt nicht unbedingt ein sicheres Aufenthaltsrecht. Das schreckt viele Betriebe von der Einstellung von Auszubildenden und Arbeitnehmern ab.

Viele Gesetzesänderungen sollten ersichtlich ein politisches Signal setzen oder dem Finanzausgleich zwischen Bund, Ländern und Kommunen dienen (so die Regelung zur bundesweiten Verteilung unbegleiteter Minderjähriger im Asylpaket I oder die Wohnsitzzuweisung für anerkannte Flüchtlinge im Integrationsgesetz). Aspekte des Menschenrechts- und Flüchtlingsschutzes blieben dabei zum Teil ebenso auf der Strecke wie wirksame Instrumente zur Förderung von sozialer Teilhabe.

2.   Neue Bleiberechtregelung

Im Juli 2015 wurde eine an sich positiv zu bewertende Bleiberechtsregelung verabschiedet, wonach Ausländer, die sich seit 8 Jahren (bzw. nach 6 Jahren, wenn er/sie mit einem minderjährigen Kind lebt) mit einer Duldung in Deutschland leben, eine Aufenthaltserlaubnis bekommen sollen. Leider wird diese Regelung von den Behörden so restriktiv angewandt, dass sie in der Praxis kaum eine Rolle spielt.

3.   Bundesweite Verteilung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge

Mit dem Asylpaket II wurde im November 2015 durch das sog. Umverteilungsgesetz die zentrale bundesweite Verteilung von unbegleiteten Minderjährigen innerhalb Deutschlands eingeführt. Dass das Gesetz ein zahlenorientiertes Quotenverfahren und nicht ein am individuellen Kindeswohl ausgerichtetes Modell gewählt hat, hat sehr negative Konsequenzen für die Betroffenen. In der Praxis werden viele unbegleitete Minderjährige nicht nach den gesetzlichen Vorschriften versorgt. Große Defizite gibt es aufgrund des Umverteilungsverfahrens u. a. im Hinblick auf die Zusammenführung mit Verwandten und Bezugspersonen, die esundheitsversorgung sowie die Sicherstellung des Schulbesuchs und die Unterstützung im Asylverfahren.

4.   Aussetzung des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten

Eine besonders gravierende Änderung enthielt das Asylpaket II mit der Aussetzung des Familiennachzugs.
Das bis dahin bestehende Recht der Kernfamilie (Ehegatten, Kinder, Eltern von Minderjährigen) auf Nachzug zu anerkannt subsidiär Schutzberechtigten wurde für 2 Jahre ausgesetzt. Für die Betroffenen bedeutet dies angesichts der u. U. monatelangen Flucht und langen Wartens auf die Entscheidung über ihren Asylantrag eine Familientrennung von häufig 4 bis 5 Jahren. Hieß es bei Erlass des Gesetzes noch, diese Regelung betreffe nicht viele Menschen, hat sich die Entscheidungspraxis des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge nun erheblich verändert. Neuerdings erhalten sehr viele Syrer, die bisher fast durchweg als Flüchtlinge anerkannt wurden „nur“ noch subsidiären Schutz, - häufig zu Unrecht -. Damit unterfallen sie der Neuregelung über die Aussetzung des Familiennachzugs. Aber auch bei den Flüchtlingen, die ihre Familien nach Deutschland nachholen dürfen, gibt es Probleme, weil es aufgrund bestehender organisatorischer und personeller Mängel praktisch nur sehr schwer möglich ist, die nötigen Anträge auf Familiennachzug bei den Botschaften in der Herkunftsregion zu stellen.

5.   Neue „sichere“ Herkunftsstaaten

Mit dem Asylpaket I wurden Albanien, Kosovo und Montenegro als „sichere Herkunftsstaaten“ eingestuft. Derzeit wird diskutiert, ob  auch Marokko, Algerien und Tunesien als sichere Herkunftsstaaten eingestuft werden sollen. Das scheitert derzeit noch an der Zustimmung des Bunderats. Die Einstufung als „sicherer“ Herkunftsstaat bedeutet, dass vermutet wird, dass es in diesen Ländern nicht zu Verfolgung und Gefahren kommt, die in Deutschland zur Anerkennung als Schutzberechtigter führen. Ist die generelle
Einstufung unzutreffend oder besteht für den Antragsteller im Einzelfall doch eine Gefahr, hat er/sie es sehr viel schwerer, das im Asylverfahren geltend zu machen.

6.   „Gute“ und „schlechte“ „Bleibeperspektive“

Eine weitere pauschale, auf die Einzelnen oft nicht zutreffende Einteilung ist die Unterscheidung nach sog. guter und schlechter „Bleibeperspektive“. Sie soll entscheidend sein z. B. für den Zugang zu Integrationskursen oder zur Arbeitsmarktförderung. Eine gute Bleibeperspektive wird derzeit bei Menschen aus Syrien, Iran, Irak und Eritrea angenommen. Z. B. Afghanen, bei denen die Anerkennungsquote 2015 bei über 47 % lag, bleiben von vielen Leistungen ausgeschlossen und haben während der langen Dauer
des Asylverfahrens keine Chance, Schritte der Integration in Deutschland zu gehen.

7.   Reduzierung von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz

Durch das Asylpaket I und das Integrationsgesetz wurden die Leistungen nach Asylbewerberleistungsgesetz für verschiedene Gruppen von Asylsuchenden auf den sog. unabweisbaren Bedarf reduziert, der das sog. sozio-kulturelle Existenzminimum nicht mit abdeckt und deswegen nach unserer Auffassung verfassungswidrig ist. Durch das Integrationsgesetz werden die Leistungen auch für diejenigen reduziert, die einen Sprachkurs nicht ordnungsgemäß besuchen oder einen ihnen zugewiesenen 80 Cent-Job nicht ausfüllen. Bundesweit fehlt es allerdings an Sprachkursen und ein 80 Cent-Job ist kein ausreichendes Instrument der Heranführung an den Arbeitsmarkt

8.   Hohe Hürden für den unbefristeten Aufenthaltstitel

Das Integrationsgesetz hat es anerkannten Flüchtlingen erschwert, sich eine selbstbestimmte Existenz in Deutschland aufzubauen. Bisher war es vom Gesetzgeber so geregelt und gewollt, dass anerkannte Flüchtlinge drei Jahre nach ihrer Ankerkennung mit der Niederlassungserlaubnis einen unbefristeten Aufenthaltstitel bekommen, um sich auf dieser sicheren Grundlage eine soziale und wirtschaftliche Existenz in Deutschland aufzubauen. Das wurde nun geändert: Künftig müssen für die Erteilung einer
Niederlassungserlaubnis nach drei bzw. fünf Jahren u. a. Sprachkenntnisse, Einkünfte in bestimmter Höhe und Wohnraum nachgewiesen werden. Ausnahmen für besonders Schutzbedürftige und Härtefallregeln sind dabei völlig unzureichend, so dass es viele Flüchtlinge geben wird, die die gesetzten Hürden beim besten Willen nicht werden überwinden können.

9.   Wohnsitzzuweisung

Für ebenso integrationshemmend halten wir die im Integrationsgesetz geregelte Wohnsitzzuweisung, die es den Bundesländern erlaubt, ohne Rücksicht auf bereits vorhandene individuelle Integrationserfolge der Betroffenen anerkannte Flüchtlinge zur Wohnsitznahme an einem anderen Ort zu verpflichten. Dabei ist gesetzlich nicht hinreichend  gesichert, dass die Belange besonders Schutzbedürftiger berücksichtigt werden oder dass es am Ort der Wohnsitzzuweisung wirklich gute Voraussetzungen für die soziale
Eingliederung, also etwa Arbeitsplätze, Schulen und Sprachkurse gibt. Wir befürchten, soweit diese Bestimmung tatsächlich angewandt wird, vielfache Härten, vor allem für besonders Schutzbedürftige und eine negative Wirkung für die Integration.
In Deutschland leben immer mehr Menschen ohne Schutzstatus und jegliche Teilhabe. Die Zahl der – oft langjährig -–  Geduldeten hat sich seit Mitte 2013 auf ca. 160.000 fast verdoppelt, etwa ein Drittel der Geduldeten ist minderjährig, ca. 33.000 der Geduldeten leben bereits seit mehr als 5 Jahren in Deutschland. Sie haben kaum Zugang zu Arbeit und Ausbildung. Das gilt für die Zeit nach ihrer Ablehnung und auch dann, wenn sie langfristig nicht abgeschoben werden können. Soziale Teilhabe und Integration
sind unter diesen Voraussetzungen kaum möglich. Die Diakonie und ihre Einrichtungen unterstützen vielerorts gerade die Geduldeten. Die Diakonie setzt sich dafür ein, dass die aufenthaltsrechtliche Unsicherheit langjährig Geduldeter durch eine Stichtagsregelung und die Erteilung von Aufenthaltstiteln beendet wird.

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