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Bundesprogramm Fachkräfteoffensive für Erzieherinnen und Erzieher

Rundschreiben Sozialpolitik Nr. 6/2019

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,

Ende März hat das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) das Interessenbekundungsverfahren für das neue Bundesprogramm „Fachkräfteoffensive“ gestartet.

Mit dem heutigen Rundschreiben möchten wir Sie über das Programm informieren und die kritischen Punkte dieses Programms benennen. Angesichts des aktuellen und perspektivisch zunehmenden Fachkräftebedarfs im Arbeitsfeld der Kindertagesbetreuung hat das Bundesprogramm nach eigener Aussage das Ziel, mit mehr vergüteten Ausbildungsplätzen Erzieherinnen und Erzieher für die Ausbildung zu gewinnen, eine gute Ausbildungspraxis zu sichern und für etablierte Fachkräfte neue Qualifizierungsperspektiven zu bieten. Dafür setzt das Programm auf drei Ebenen mit einer Förderung an.

Das Programm im Überblick

Bundesprogramm Fachkräfteoffensive Erzieherinnen/Erzieher (Kurzinformation)

  1. Praxisintegrierte vergütete Ausbildung: Für das beginnende Ausbildungsjahr ab Herbst 2019 werden bis zu 2.500 vergütete Ausbildungsplätze gefördert. Die Kinderbetreuungseinrichtung, in der zusätzliche Ausbildungskapazität geschaffen wird, beantragt gemeinsam mit einer kooperierenden Fachschule bzw. Fachakademie die Förderung. Voraussetzung ist, dass die Ausbildung dem Qualifikationsniveau 6 des Deutschen Qualifikationsrahmens entspricht, mit dem Abschluss „staatlich anerkannte Erzieherin“ bzw. „staatlich anerkannter Erzieher“ beendet und kein Schulgeld erhoben wird. Die Förderung des Ausbildungsplatzes nimmt in den Ausbildungsjahren ab und orientiert sich an 100% im ersten Jahr, 70% im zweiten Jahr und 30% im dritten Jahr.
  2. Praxisanleitung: Fachkräfte in Tageseinrichtungen für Kinder können in diesem Programmbereich eine Zusatzqualifikation zur Praxisanleitung mit bis zu 1.000,00 € pro Person gefördert bekommen. Umfang und Inhalte der Qualifizierung werden ggf. entsprechend der Landesvorgaben ausgestaltet. Weiterhin können pro Fachschüler*in durchschnittlich zwei Anleitungsstunden pro Woche mit 25,00 € pro Stunde bezuschusst werden, um Ressourcen für die Anleitungszeit in der Einrichtung zu schaffen.
  3. Perspektiven mit Aufstiegsbonus: Bis zu 1.500 pädagogische Fachkräfte können maximal 300,00 € pro Monat und Person in Form einer Höhergruppierung oder als Zulage für vorhandene Zusatzqualifikationen erhalten, wenn sie sich für besondere Tätigkeiten in der Einrichtung (weiter)qualifiziert haben. Welche Tätigkeitsbereiche und Zusatzqualifikationen berücksichtigt werden, regeln die jeweiligen Bundesländer.

Bewertung des Bundesprogramms:

Insgesamt begrüßt die Diakonie Deutschland mit ihren Fachverbänden „Bundesvereinigung Evangelischer Tageseinrichtungen für Kinder (BETA)“ und „Bundesverband evangelischer Ausbildungsstätten für Sozialpädagogik (BeA)“, dass das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sich dem Thema Fachkräftebedarf in der Kindertagesbetreuung widmet. In Anbetracht der weiteren Ausbaudynamik im Bereich der Kindertagesbetreuung, des geplanten Rechtsanspruchs auf Ganztagsbetreuung für Kinder im Grundschulalter und den statistischen Prognosen zum perspektivischen Personalbedarf, ist es zwingend notwendig, die Gewinnung und Bindung von pädagogischen Fachkräften auf die Agenda zu setzen. Eine Unterstützung der Länder und Träger durch den Bund ist hier dringend notwendig. Das nun gestartete Bundesprogramm wird allerdings wegen der geringen und befristeten Mittelbereitstellung nur sehr begrenzt wirksam sein können und erfüllt die Anforderungen, die an eine Fachkräfteoffensive zu stellen sind, nicht.

Das geplante Fördervolumen im Bundesprogramm ist zu gering, um eine substantielle Anzahl pädagogischer Fachkräfte für den Beruf zu gewinnen und Anreize zum Verbleib in diesem Arbeitsfeld zu schaffen. Es unterliegt zudem weiteren Haushaltsverhandlungen der Bundesregierung, so dass zu befürchten ist, dass der tatsächliche Umfang des Programms noch geringer ausfallen wird.

Die Förderung im Bundesprogramm ist an ein zweistufiges Verfahren gebunden. Aktuell erfolgt die Interessensbekundung, danach werden ausgewählte Träger zur Antragstellung aufgefordert.

Es liegen noch keine verbindlichen Richtlinien zum Bundesprogramm vor. Lediglich ein FAQ-Dokument (siehe Anlage) gibt zusätzliche Informationen, wobei aber nicht alle Fragen zum Verfahren befriedigend geklärt werden. Dadurch lässt sich u.a. der administrative Aufwand noch nicht absehen, der für die Antragsstellenden mit der Förderung im Bundesprogramm verbunden sein wird.

Zum Teil wird es länderspezifische Vorgaben geben, die beispielsweise regional einschränken und/oder nur bestimmte Fachschulen und Fachakademien im ersten Programmbereich zulassen. Es ist nicht durchgängig dargelegt und den freien Trägern bekannt, auf welcher Grundlage die länderspezifischen Vorgaben erstellt wurden/werden.

Zu 1. Praxisintegrierte vergütete Ausbildung

In den Ländern gibt es bereits unterschiedliche Vorerfahrungen mit der praxisintegrierten Ausbildung sowie der damit verbundenen Anrechnung der Fachschüler*innen/ Studierenden auf den Personalschlüssel, die sich vermutlich in der Umsetzung bemerkbar machen werden. Die Fachkräfteoffensive des Bundesfamilienministeriums für Erzieherinnen und Erzieher  sieht u. a. modellhafte Klassen für die Erzieher*innenausbildung vor, in denen die Auszubildenden eine Ausbildungsvergütung erhalten sollen. Für diese Klassen dürfen die Schulen kein Schulgeld erheben. Diese Vorgabe hat in einigen Bundesländern dazu geführt, dass Schulen in privater Trägerschaft sich nicht beteiligen dürfen.

Aus Sicht der Diakonie Deutschland ist die Vorgabe, dass für die geförderten Fachschüler*innen/Studierenden kein Schulgeld erhoben werden darf, problematisch. Durch diese Vorgabe kommt es zu einer systematischen Benachteiligung all der Fachschulen und Fachakademien, die Schulgeld erheben, zu denen auch viele evangelische Fachschulen gehören. Dies stellt einen Eingriff in die Trägerhoheit der Privatschulen dar.

Zu 2. Praxisanleitung

Ein weiterer Aspekt des Bundesrahmenprogramms ist die finanzielle Förderung der professionellen Praxisanleitungen in den Kindertageseinrichtungen. Der Bund möchte die Länder und Träger dabei unterstützen, die praxisintegrierte Ausbildungsform zu optimieren und auszuweiten. Durch die finanzielle Unterstützung sollen Qualifizierungen zu Anleitungsfachkräften (in 2019 und 2020) gefördert und nötige zeitliche Freistellungen vom Gruppendienst unterstützt werden (ab 2019). Dafür sollen durchschnittlich 2 Stunden je Woche und Auszubildender/Auszubildendem mit einem Pauschalbetrag von 25,00 € pro Stunde bezuschusst werden.

Die Diakonie Deutschland begrüßt dieses Ziel. Geklärt und geregelt werden muss allerdings, wer die Anbieter dieser Qualifizierung bzw. Professionalisierung der Praxisanleitung sein werden. Aus Sicht der Diakonie Deutschland sollten die Fachschulen für Sozialpädagogik die Qualifizierung übernehmen. So kann dieses Ziel qualitativ anspruchsvoll und in enger Verzahnung mit den für die Ausbildung verantwortlichen Fachschulen umgesetzt werden. Der TheoriePraxistransfer kann dadurch zielgerichtet gelingen.

Zu 3. Perspektiven mit Aufstiegsbonus

Funktionsstellen und Aufstiegsmöglichkeiten für pädagogische Fachkräfte sind bislang nur geringfügig in der Kindertagesbetreuung vorhanden. Der geplante Aufstiegsbonus stellt einen Anreiz dar und kann ein Schritt zur Weiterentwicklung und zum systematischen Aufbau von Qualifizierungslinien sein. Allerdings berührt die Förderung von beruflichem Aufstieg durch Projektmittel die grundsätzliche Frage der Eingruppierung. Zudem ist die zeitliche Begrenzung des Bundesprogramms ein Problem, denn die Finanzierung endet 2021.

Kritisch: Beschränkung auf ein Arbeitsfeld Die Fachkräfteoffensive ist allein auf das Arbeitsfeld der Tageseinrichtungen für Kinder beschränkt. Weitere Arbeitsfelder der Kinder- und Jugendhilfe sind nicht antragsberechtigt und erhalten keine Fördermittel. Im Gegenteil: Es ist zu befürchten, dass keine neuen Ausbildungsplätze eingerichtet werden, wenn die konsekutiven Plätze zugunsten der praxisintegrierten Ausbildungsvariante eingeschränkt werden.

Wir legen nach wie vor viel Wert auf eine generalistische Ausbildung zur/zum Erzieher*in. Lediglich Fördermöglichkeiten für ein Praxisfeld der Erzieher*innen vorzusehen halten wir für problematisch.

Abschließende Bewertung

Die Fachkräfteoffensive des Bundes nimmt ein bedeutsames Thema für die Zukunft der Kindertagesbetreuung in den Blick, greift aber mit den vorgesehenen Mitteln viel zu kurz. Um umfassend etwas bewegen zu können, bedarf es aus Sicht der Diakonie Deutschland sowie der beiden Fachverbände „Bundesvereinigung Evangelischer Tageseinrichtungen für Kinder (BETA)“ und „Bundesverband evangelischer Ausbildungsstätten für Sozialpädagogik (BeA)“ einer konzertierten Aktion zur zukunftsfähigen Gestaltung des Berufsfeldes für angehende und bereits tätige Fachkräfte in der Kindertagesbetreuung. Dabei sind die Möglichkeiten und das Zusammenwirken von Bund, Länder- und kommunaler Ebene zu berücksichtigen und die Träger und alle verantwortlichen Akteure in Aus-, Fort- und Weiterbildung einzubinden. Es wird darauf zu achten sein, dass die Fachkräfteoffensive nicht zu Forderungen nach Kurzzeitqualifizierungen sowie einer generellen Verkürzung der Ausbildung führt. Aus Gründen der Qualitätssicherung und des Erhalts des Qualifikationsniveaus 6 im Deutschen Qualifikationsrahmen ist der Stundenumfang für die praktische Ausbildung (2.400 Std.) zwingend beizubehalten und die Zugangsvoraussetzungen nach der Rahmenvereinbarung der Kultusministerkonferenz als Mindeststandards beizubehalten. Das Fachkräftegebot und die Qualität der Kinder-und Jugendhilfe darf nicht geschwächt oder gar gefährdet werden.

Zu den Ausbildungsformaten bleibt festzuhalten, dass die Variante „2 Jahre Ausbildung + 1 Jahr Praktikum“ gegenüber der praxisintegrierten Ausbildungsform allein durch die fehlende Vergütung ein für die Bewerber*innen unattraktiveres Modell darstellt. Die Ausbildung in Form von 2 Jahren Fachschule mit anschließendem Jahr Praktikum ist für manche Auszubildende genau der richtige Weg, da die hohen Anforderungen von gleichzeitiger praktischer Tätigkeit und theoretischer Fachschulausbildung überfordern kann.

Es ist zudem erforderlich, die Begriffsvielfalt „dual“, „berufsbegleitend“ und „berufsintegrierend“ aufzulösen und sich auf die eindeutige Bezeichnung „praxisintegriert“ zu einigen. Der Begriff „duale Ausbildung“ sollte dabei vermieden werden, da dieser bereits durch die duale Ausbildung nach Berufsbildngsgesetz (BBiG) besetzt ist und diese Ausbildungsform nicht dem Ausbildungsniveau der Erzieher*innen-Ausbildung entspricht. In einigen Bundesländern gibt es (noch) keine praxisintegrierte Ausbildung. Deshalb ist es sinnvoll, vor Einführung eines Bundesförderprogramms, zunächst eine bundesweite Umsetzung/Implementierung einer praxisintegrierten Ausbildungsform der Erzieher*innen-Ausbildung vorzunehmen. Außerdem sollten alle Ausbildungsformate – die grundständige Ausbildung und die praxisintegrierte Ausbildung – über ein spezielles „Erzieher*innen-BAföG“ gefördert werden, damit diese Ausbildung von allen Interessierten, unabhängig ihrer finanziellen Möglichkeiten, absolviert werden kann.

Durch die länderspezifischen Vorgaben in den drei Programmbereichen und zu den Regelungen der Ausbildung wird die Umsetzung der Fachkräfteoffensive in den Ländern unterschiedlich sein.

Es wird jeweils von Trägerseite zu prüfen sein, ob die Vorgaben und Rahmenbedingungen so gestaltet sind, dass eine Teilnahme am Bundesprogramm im eigenen Interesse liegt und zumindest für den begrenzten Zeitraum des Bundesprogramms eine Unterstützung darstellt.

Leiten Sie gerne diese Information an Ihre Untergliederungen im Bereich Tageseinrichtungen für Kinder weiter.

Für Fragen stehen wir selbstverständlich zur Verfügung.


Mit freundlichen Grüßen
Ihre

Maria Loheide
Vorstand Sozialpolitik

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