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Diakonie übernimmt Präsidentschaft in der Freien Wohlfahrtspflege

Interview mit Ulrich Lilie zu den zukünftigen Herausforderungen für die Wohlfahrtspflege

Ulrich Lilie hat zum Jahreswechsel das wichtige Amt des Präsidenten der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) übernommen. Er löst damit DRK-Präsidentin Gerda Hasselfeldt ab, die den Vorsitz vorher für zwei Jahre innehatte.

Ulrich Lilie

Was ist ein wichtiges Thema, das Sie in ihrer BAGFW-Präsidentschaft in den nächsten zwei Jahren voranbringen wollen?

Ulrich Lilie: Wir wollen gemeinsam in der BAGFW die Bedeutung der Freien Wohlfahrtspflege für die Zukunft des Sozialstaates noch stärker herausstellen. Aber so, dass deutlich wird, dass wir nicht puren Lobbyismus in eigener Sache betreiben, sondern dass wir gesamtgesellschaftlich unseren Teil zur Lösung beitragen wollen zu den großen sozialen, gesundheits- und pflegepolitischen Fragen, die uns gerade alle beschäftigen.

Sie übernehmen den BAGFW-Vorsitz mitten in der Corona-Krise. Was bedeutet die Pandemie für die Freie Wohlfahrtspflege?

Ulrich Lilie: Die Pandemie hat wieder gezeigt, wie wichtig ein funktionierendes Sozial- und Gesundheitssystem für die gesamte Bevölkerung ist. Wir müssen jetzt die Diskussion führen, wie wir diese Strukturen nachhaltig und vorausschauend sichern. Und zwar so, dass sie nicht als ein notwendiges Übel, sondern als eine Voraussetzung für das Funktionieren einer sozialen Demokratie verstanden und entsprechend auch politisch und finanziell abgesichert werden.

Welche Themen sehen Sie als die größten Herausforderungen für die Freie Wohlfahrtspflege in den kommenden Jahren?

Ulrich Lilie: Ein großes Thema, das wir schon viel gemeinsam mit anderen Verbänden adressiert haben, ist die Frage, wie wir in einer älter werdenden Gesellschaft die Teilhabe der älteren Menschen sichern. Das wird gerade auch in der Corona-Krise zurecht laut diskutiert. Die immer älter werdenden Menschen sind nicht nur Hilfeempfängerinnen und -empfänger, sondern das sind Menschen, die etwas zum Gemeinwesen beizutragen haben.  Und es geht natürlich auch darum, wie wir die hochaltrigen, zum Teil demenziell veränderten Menschen würdig pflegen und begleiten – und zwar so, wie sie es sich selbst wünschen. Nämlich am liebsten in ihrer vertrauten häuslichen oder sozialen Umgebung.

Ein zweiter Punkt: Es ist jetzt schon deutlich, dass die öffentlichen Kassen durch Corona einen ordentlichen Schluck aus der Pulle genommen haben – und wir müssen alle dafür sorgen, dass wir keinen sozialen Kater bekommen. Das heißt: Wir müssen jetzt die sozialen Strukturen nachhaltig absichern, von den Schuldnerberatungsstellen über die Obdachloseneinrichtungen, die Kindertagesstätten und Bildungseinrichtungen, über Tages- und Stadtteiltreffs bis hin zu den Pflegeeinrichtungen. Das sollten wir gemeinsam mit den Kommunen tun.

Mein drittes Stichwort: gleichwertige Lebensverhältnisse. Auch das halte ich auch für ein Thema, das wir weiter auf der Agenda halten und gerade gemeinsam mit der Politik bearbeiten müssen. Egal, wo er oder sie lebt, hat jede Bundesbürgerin und jeder Bundesbürger einen Anspruch auf einen Mindeststandard an Versorgung und Teilhabe, der zu gewährleisten ist. Daran wollen wir weiter mitwirken und das verstehen wir auch als unseren Auftrag.

Transparenz in der Freien Wohlfahrtspflege wird häufiger öffentlich diskutiert, auch Ideen zu einer bundesgesetzlichen Regelung. Ist das der richtige Weg? 

Ulrich Lilie: Es ist wichtig, dass sich die Verbände hier selbst als Vorreiter der Bewegung verstehen und alles dafür tun, dass Fragen der Compliance für sie selbstverständlich sind. Das heißt: größtmögliche Transparenz. Wenn wir öffentliche Mittel bekommen, ist das eine Bringschuld, die wir selbstverständlich zu leisten haben.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Freien Wohlfahrtspflege?

Ulrich Lilie: Unsere Gesellschaft ist von einer tief greifenden Transformation geprägt – die Stichworte lauten zunehmende kulturelle Vielfalt, Globalisierung, Digitalisierung, Veränderung der Arbeit, demografischer Wandel, soziale Ungleichheit. Ich wünsche mir für die Zukunft, dass wir einen Beitrag dazu leisten können, dass alle Menschen in diesem Land die gleichen Teilhabechancen haben. Dass sie die Chance haben, das Gemeinwesen mitzugestalten, egal wo sie leben, was sie für eine Herkunftsgeschichte haben, egal welchen Geschlechts oder wie alt sie sind.

Das Interview mit Ulrich Lilie führte Sarah Spitzer.

 

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