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Vergabe von sozialen Dienstleistungen – Risiken, Chancen, Handlungsbedarfe

Vergabeverfahren sind aus der sozialen Praxis nicht mehr wegzudenken. Im richtigen Kontext professionell angewendet, muss das auch kein Problem sein. Allerdings besteht nach wie vor noch erheblicher Klärungsbedarf, bis aus dem vermeintlichen Allheilmittel ein für bestimmte Bedarfe taugliches Instrument wird. Ein wichtige Voraussetzung für eine erfolgreiche Argumentation ist eine belastbare Übersicht über Vergabeverfahren und ihre Auswirkungen. Um diese zu gewinnen, hat die Diakonie Deutschland ein Vergabemonitoring entwickelt und lädt dazu ein, dieses zu nutzen.

Seit Juli 2017 fügen sich die letzten Bausteine des reformierten Vergaberechts zusammen und runden den Gesamtbau dessen ab, was die EU 2011 zur Überarbeitung ihrer ersten Vergaberichtlinie aus dem Jahr 2004 in Gang gesetzt hat. Ende dieses Jahres wird die deutliche Mehrheit der Bundesländer ihre Vergaberegelungen auf die Unterschwellenvergabeordnung (UVgO) umgestellt haben. Im Ergebnis haben dann die wesentlichen Reformimpulse der EU in den einschlägigen Vergaberechtsregelungen ihren Niederschlag gefunden. Allerdings reicht es nicht, dass diese Impulse nur im geschriebenen Recht verankert sind. Praktische Relevanz erlangen sie nur, wenn sich Auftraggeber dieser Gestaltungsmöglichkeiten tatsächlich bedienen.

Insgesamt betrachtet bietet das neue Vergaberecht sowohl Chancen als auch Risiken.

Positiv ist die Öffnung des Vergaberechts nicht nur für soziale Kriterien bei der Gestaltung der Vergabe, sondern auch die mit den Sonderregelungen für die Ausschreibung sozialer Dienstleistungen erfolgte Öffnung für die besonderen Rahmenbedingungen sozialer Dienstleistungen. Wichtig ist auch, dass das Vergaberecht mit der ausdrücklichen Zulassung eines transparenten Dialogs mit den Bietern die Einbeziehung ihres besonderen Knowhows in die Gestaltung der zu beschaffenden Dienstleistungen ermöglicht. Ansatzpunkte hierfür sind die Marktanalyse, das Verhandlungsverfahren oder der wettbewerbliche Dialog bzw. die Verhandlungsvergabe. Zudem enthält das Vergaberecht deutliche Hinweise, dass der billigste Preis für sich genommen nicht das geeignete Auswahlkriterium ist. Das Vergaberecht hat damit die vor zehn Jahren noch entschiedene Abwehr von sogenannten „vergabefremden“ Gesichtspunkten und die Fokussierung auf möglichst günstige Beschaffungen hinter sich gelassen.

Zu den Risiken der Reform zählt jedoch, dass diese Impulse sich in der Praxis erst noch durchsetzen müssen. Einer Aufbruchsstimmung bei den Auftraggebern steht entgegen, dass sich mit den Gestaltungsmöglichkeiten auch die Fehlerquellen und damit das Risiko langwieriger Rechtsschutzverfahren mehren. Selbst soweit der besondere Vergaberechtsschutz ausgeschlossen ist, stehen die neuen Verfahren oft im Verdacht, zu umständlich und damit einer schnellen Beschaffung hinderlich zu sein. Die neuen Regelungen stellen in der Tat gerade kleine Kommunen und Ämter ohne eigene Vergabestellen vor erhebliche Herausforderungen. Dass es nach wie vor nicht gelungen ist, den besonderen Vergaberechtsschutz auf die deutschlandweiten Vergabeverfahren auszudehnen, ist für sich genommen ein weiteres Manko der Reform. Während die übrigen EU-Mitgliedsstaaten sowie einige Bundesländer zeigen, dass es möglich ist, insoweit angemessene Regelungen zu finden, klafft für gut 90 % aller Ausschreibungen in Deutschland eine bedenkliche Rechtsschutzlücke.

Erfolgsfaktoren

Trotz dieser Bedenken dürften grundsätzlich die Chancen auf eine sachgerechtere Vergabepraxis überwiegen. Das setzt aber zweierlei voraus:

  1. Das Instrument der Vergabe muss seinen Platz neben den bewährten Verfahren zur Organisation sozialer Dienstleistungen finden. Das Sozialrecht hat insbesondere mit dem Dreiecksverhältnis ein differenziertes und vorrangiges Instrumentarium zur wirtschaftlichen Leistungserbringung und Wettbewerbsgestaltung entwickelt. Vergabeverfahren treten zu diesen hinzu und erweitern insoweit die Gestaltungsmöglichkeiten der Leistungsträger. Die Vergaberichtlinie bestätigt dieses Nebeneinander unterschiedlicher Modelle ausdrücklich. Wann im Einzelfall die für die Auftragsvergaben typische selektive Auswahl und die Begleiterscheinungen eines exklusiven Wettbewerbs (vor allem die partielle Einschränkung der Trägerpluralität und des Wunsch- und Wahlrechts) rechtlich zulässig sind, entscheidet allein das Sozialrecht. Ob und wann eine rechtlich zulässige Auftragsvergabe auch sinnvoll ist, entscheiden fachliche Überlegungen des jeweiligen Arbeitsfeldes.
  2. Zulässige Ausschreibungen bedürfen professioneller Gestaltung: Gerade auch in der Verwaltungswissenschaft wird deutlich, dass eine effiziente wirtschaftliche Beschaffung mehr ist als die rechtsfehlerfreie Abwicklung eines Vergabeverfahrens. Ein zunehmend wichtiger Faktor ist eine wohlverstandene Professionalität der Ausschreibung. Diese schaltet dem eigentlichen Vergabeverfahren eine sorgfältige Vorbereitungsphase einschließlich einer Marktanalyse vor und begleitet die Vertragsabwicklung. Professionalität heißt in den Augen der Diakonie insbesondere: Verzicht auf die schädliche Engführung der Vergabe auf fachlich fragwürdige einseitige Diktate seitens der Auftraggeber und die Fixierung auf den billigsten Preis als Zuschlagskriterium. Nur wenn es gelingt, eine solche Qualität im Beschaffungsprozess zu verankern, lässt sich auf die Dauer auch die Qualität der beschafften sozialen Dienstleistungen sicherstellen.

Handlungsbedarf für die Diakonie und Wohlfahrtspflege

Diese Einschätzung nimmt auch die Diakonie auf allen ihren Handlungsebenen in die Pflicht.

Die Bereitschaft der Leistungsträger zu einer solchen Umstellung ihrer Vergabepraxis ist letztlich eine Haltungsfrage. Derzeit zeichnet sich im Bau- und IT-Sektor ein schwindendes Interesse der Bieter an der Teilnahme an Ausschreibungen ab und verleiht der Notwendigkeit einer solchen Haltungsänderung zusätzliche Dringlichkeit. In dem eher von einem Nachfragemonopol geprägten sozialen Bereich mag der Druck nicht vergleichbar groß sein. Das Umdenken kommt aber auch uns zugute und wir müssen unsererseits auf allen uns offenstehenden Gesprächsebenen für ein solches Umdenken werben.

Dabei kommt es auf die doppelte Botschaft an: das Ob der Auftragsvergabe ist ein sozialrechtliche Frage. Es muss nicht immer und manchmal darf es nicht Auftragsvergabe sein. Aber wenn und soweit sie sinnvoll ist, muss sie professionell erfolgen.

Ein wesentliches Element einer solchen Argumentation ist solides Wissen um gute und schlechte Umsetzung von Vergaben im Sozialrecht. Derzeit ist dies noch ein großes Manko: erst 2016 hat die Bundesregierung die rechtlichen Grundlagen für eine Vergabestatistik gelegt, die nunmehr im Aufbau ist. Allerdings wird auch diese nicht alle für unsere Argumentation notwendigen Gesichtspunkte abdecken. Hier müssen wir deshalb selber tätig werden und unsere Erfahrungen mit Vergabeverfahren systematisch zusammentragen und aufbereiten. Aus diesem Grund haben wir ein Vergabemonitoring eingerichtet und stellen Ihnen dies hiermit zur Verfügung.

Wir laden Sie ein, uns Ihre Erfahrungen mit Vergabeverfahren zu schildern. Wenn Sie dies wünschen, werden wir gern den Kontakt zur rechtlichen Beratung durch die zuständigen Landes- und Fachverbände vermitteln. Die uns mitgeteilten Eindrücke fließen anonymisiert in die Aufbereitung der Fälle ein. Das Ergebnis der Aufbereitung und unsere Schlussfolgerungen stellen wir Ihnen gern für Ihre Argumentation zur Verfügung.

Den Zugang zur Umfrage finden Sie auf der Webiste "Vergabemonitoring"

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Dr. Jörg Kruttschnitt, Vorstand Finanzen, Personal, Recht im Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung, informiert hier über seine Beiträge den Verband und die Fachöffentlichkeit.

Ergänzend berichten hier auch seine Mitarbeitenden aus den Arbeitsfeldern.

Dr. Jörg Kruttschnitt

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